Ich würde gerne schreiben, dass es mir gut geht. Dass alles okay ist. Dass ich mich morgens auf den Tag freue, der mit all seinen Möglichkeiten vor mir liegt.
Es wäre genauso unwahr wie wenn ich schreiben würde, dass es mir miserabel geht und alles ganz fürchterlich ist.
Ich fühle nichts. Mir geht es nicht gut und mir geht es nicht schlecht. Ich könnte genausogut einfach gar nicht existieren. Oder in einer Luftblase in irgendjemandes Traumwelt dahintreiben. So ganz irreal und weit weg und gedämpft.
Wenn ich überhaupt irgendetwas fühle, dann am ehesten noch, wie ich mich weiter und weiter vom Leben entferne. Ich habe immer weniger das Gefühl, irgendwo in dieses Leben eingebunden zu sein. Wie ein Geist. Irgendwie in der Welt und gleichzeitig doch ganz woanders und kein Teil von ihr.
Meiner Erfahrung nach würde ich sagen, dass das ohne jeden Zweifel eine recht ordentliche depressive Episode ist. Aber wenn ich nach den Reaktionen der Ärzte urteile, scheine ich mir alles nur einzubilden und maßlos zu übertreiben. Sonst würden sie doch stärker versuchen, mir zu helfen, oder?
Irgendwie komme ich mir vor wie in einem schlechten Film. So oft wollten sie mich wegen Depression behandeln. In Zeiten, in denen es mir tausenmal besser ging als jetzt. In denen ich einigermaßen okay war, gefühlt habe, gelebt habe, lachen konnte. Und jetzt, da wirklich alles ganz grauschwarz ist und ich betone, wie sehr ich darunter leide – da nimmt es keiner so richtig ernst.
Ist das nicht idiotisch? Als ich nicht depressiv war, wollten sie alle die „Depression“ behandeln. Und jetzt, da ich eine habe, will sich keiner mehr damit befassen.
Ich fühle mich ziemlich im Stich gelassen. Natürlich bin ich auch selber ein bisschen Schuld daran. Ich ziehe mich zurück, auch von den Ärzten. Aber warum sollte ich auch im Kontakt bleiben? Wenn sie mir ohnehin nicht zuhören. Mich mit leeren Worten abspeisen. Meine Empfindungen verleugnen. Warum immer und immer wieder sagen, dass es nicht okay ist? Dass sie was tun sollen? Es führt ja doch zu nichts.
In den letzten Tagen habe ich oft darüber nachgedacht, warum das so ist. Ich gelange mehr und mehr zu der Überzeugung, dass ich mich zu gesund verhalte. Keine Selbstverletzungen, keine Intoxikationen, keine Suizidversuche. Ich bin nicht glaubwürdig, wenn ich meinen Schmerz nicht über den Körper demonstriere.
Ist das nicht irgendwie ziemlich pervers? Da predigen sie mir immer wieder, dass ich lernen muss zu reden und meinen Schmerz anders auszudrücken als über selbstschädigendes Verhalten. Und jetzt tue ich das – und werde nicht ernst genommen. Genau das war immer meine Befürchtung. Dass meine Worte allein nicht genügen. „Aber natürlich hat Ihr Wort genug Gewicht! Natürlich nehmen wir Sie auch dann ernst, wenn Sie keinen Mist gemacht haben!“ Ja, natürlich. Sehe ich *ironisch lach*
Letzten Endes ist es eben doch so. Worte bedeuten nichts. Selbst wenn man aus voller Kehle schreit, halten sie sich im Zweifelsfall einfach die Ohren zu. Ich muss den Körper einsetzen, um Hilfe zu bekommen. Schneiden, Tabletten schlucken… Irgendetwas Krasses tun, dass sie nicht ignorieren können.
Solange ich den Körper nicht schädige, glaubt mir niemand, dass ich leide. Weil es ja immer so gewesen ist, dass ich mir was antue, wenn es mir nicht gut geht. Wenn ich jetzt einfach mal nichts Schlimmes tue und nur rede – kann es nicht so schlimm sein.
Ist das das Ziel der Therapie? Mein Verhalten so zu verändern, dass meine Mitmenschen nicht allzu sehr mit meinem Schmerz konfrontiert werden? Eine hübsche Fassade aufbauen, die nach Besserung und Glückseligkeit aussieht? Ist das das Ziel?