In der letzten Zeit habe ich mich für meine Verhältnisse sehr oft mit Freunden getroffen. Ich solle mich nicht zu sehr zurückziehen, mich nicht zu Hause einigeln, ich solle rausgehen, was unternehmen, Kontakte pflegen. Empfahl mir Dr. H. und ich denke, dieser Rat ist prinzipiell ganz gut (abgesehen davon, dass der Grat zwischen „viel“ und „zu viel“ bei sozialen Kontakten bei mir sehr, sehr schmal ist).
Nun ist es aber so, dass ich momentan sehr gezielt und strikt entscheide, mit wem aus meinem Freundeskreis ich wie viel Zeit verbringe. Es gibt ein paar Leute, mit denen ich fast täglich in irgendeiner Weise Kontakt habe – und andere, zu denen jeglicher Kontakt auf Eis gelegt ist.
Kontakt pflege ich derzeit nur zu denen, die ich nicht in der Klinik kennengelernt habe. Kommilitonen, ehemalige Kollegen aus dem Labor, Freunde aus der Schulzeit, und was man eben sonst noch so an Bekanntschaften hat. Gesunde, normale Menschen, die mit Psychiatrie rein gar nichts am Hut haben und die voll im Leben stehen.
Es tut mir gut, diese Normalität zu erleben. Gespräche, die sich nicht um Krankheit, Klinik, Ärzte, Medikamente, Therapien drehen. Sondern um ganz Alltägliches, natürlich auch viel Uni- und Laborgeschichten. Treffen, um einfach Zeit miteinander zu verbringen und Spaß zu haben – nicht um sich gegenseitig zu stützen, abzulenken, aufzubauen.
Letzteres ist bei Psychiatrie-Freundschaften leider (?) oft der Fall. Unbeschwert Spaß haben ist selten. Stattdessen wird endlos darüber gesprochen, wie es einem gerade geht, welche Probleme man hat, Therapien, Ärzte, Krankheit hier, Krankheit dort.
Alle, mit denen ich auch nach der Entlassung in Kontakt blieb, sind nach wie vor weit entfernt von „gesund“. Alle in Kliniken oder auf Wartelisten von Kliniken, alle immer wieder in der Geschlossenen, allen geht es permanent schlecht (zur Abwechslung auch mal sehr schlecht), und immer wieder wird mir von Selbstverletzungsdruck und Suizidgedanken erzählt.
Ich will das alles gerade nicht hören. Ich gehe brav zu meinen Terminen beim Herrn Ambulanzpsychiater und bei Dr. H., ich setze mich hier im Blog und in Gedanken immer wieder mit meinen Problemen auseinander. Das reicht, und mehr Zeit will ich nicht mit diesem ganzen Psychiatrie-Kram verbringen.
Also halte ich die Psychiatrie-Freunde strikt auf Abstand. Sage, dass ich gerade Zeit für mich brauche. Sie nicht treffen, nicht mit ihnen schreiben will. Dass ich dem einen oder anderen damit wehtue, weiß ich. Auch, dass sich manche im Stich gelassen fühlen. Enttäuscht sind, dass ich sie „fallen lasse“.
Und bringe ich mit meinem Verhalten nicht auch eine Art Abwertung oder Geringschätzung zum Ausdruck? Signalisiere ich damit nicht irgendwie, dass sie mir zu krank, zu gestört sind?
Ich habe ein schlechtes Gewissen. Sollten Freunde nicht füreinander da sein, in guten und in schlechten Zeiten? Andererseits gibt es Psychiatrie-Freunde, bei denen es ausschließlich schlechte Zeiten gibt. Und für die ich da bin – aber sie nicht für mich.
Ist es egoistisch, dann zu sagen: Ich brauche Normalität, um selber wieder stabil zu werden und mein Leben in die richtige Richtung zu lenken? Ich brauche Abstand zu Psychiatrie-Themen, um mich vom Kranksein lösen zu können? Ich brauche meine Kraft, um meine eigenen Probleme anzugehen, und kann/will mich nicht um andere Menschen und deren Nöte kümmern?
Und ist es egoistisch zu sagen: Ich treffe mich nur mit bestimmten Freunden, weil sie so herrlich normal sind? Weil es mich motiviert, wieder zu arbeiten, wenn ich die Laborgeschichten höre? Weil mich die Normalität rauszieht aus dem Psychiatrie-Sumpf und mir hilft, wieder ins Leben zurückzufinden?
Ich weiß es nicht. Ich fühle mich unglaublich egoistisch und asozial. Da sind die Psychiatrie-Freunde, denen es nicht gut geht und die Kontakt zu mir suchen, weil ich ihnen gut tue – und ich stoße sie komplett weg. Und da sind die normalen Freunde, mit denen ich intensiven Kontakt pflege – mit dem Hintergedanken, dass sie mir gut tun, mich motivieren, mir Kraft geben, mir ins Leben zurückhelfen.
Die einen lasse ich fallen – die anderen benutze ich.
Oder?