Gestern Früh: Der Geruch von Cannabis weht vom Raucherbalkon über den Stationsflur. Drogenscreening für alle Patienten. Pinkeln unter Aufsicht (!). Ich drehe durch, Traumaerinnerungen überfluten mich. Alte Erinnerungen, neue Erinnerungen. Ein Schalter wird in meinem Kopf umgelegt und ein Tor öffnet sich und ich sehe wieder ein bisschen mehr von dem, was mir angetan wurde.
Flucht aufs Zimmer. Als Dr. H. einen Moment später reinkommt, ist es schon zu spät. Weinend sitze ich auf dem Balkon, das Feuerzeug in der Hand, frische Brandwunden am Handgelenk. Ich bin froh, dass Dr. H. da ist und Schlimmeres verhindert (ich verletze mich nicht vor „Zuschauern“), und gleichzeitig wünsche ich mir, dass er sich verpisst, damit ich weiter brennen kann, mir die Haut vom ganzen Körper abflammen kann. Er geht natürlich nicht, bleibt neben mit sitzen.
Spricht mit mir. Er hatte Nachtdienst, geht jetzt gleich nach Hause. Ich soll ein Stück mitkommen, ihn ein paar Schritte begleiten. Er gibt mir Tavor, bevor wir zusammen die Station verlassen. Seltsam, einen Arzt ein Stück auf seinem Heimweg zu begleiten. Aber es tut gut. Wir reden. Er begreift, dass ich das Drogenscreening nicht ohne Grund verweigere. Trauma. Ich biete alternativ Blutabnahme an. Er ruft auf Station an, klärt das, ich werde nicht unter Aufsicht pinkeln müssen. Sagt auch, dass ich noch etwas draußen bleibe, dass er das erlaubt und dass ich nicht zur Chefarztvisite muss. Wir verabschieden uns.
Ich laufe eine Weile ziellos umher. Erinnerungen. Tränen. Überlegungen, mich auf die Gleise zu legen. Schließlich doch zur Station zurück.
Will mit einem Arzt sprechen, irgendeinem. Frage immer wieder nach einem Arzt. Niemand hat Zeit. Dabei bräuchte ich nur fünf Minuten, maximal. Nur kurz reden, ein bestimmtes Medikament in den Bedarf. Niemand hat Zeit. Ich schlucke Tavor, gehe in Ausgang. Komme zurück, frage nochmal nach einem Arzt, warte vergebens, nochmehr Tavor, wieder Ausgang.
Zugedröhnt liege ich auf einer Bank im Grünen, habe Flashbacks, weine, und bin traurig, dass ich meine Kamera nicht dabei habe, um das wunderschöne rotbraune Eichhörnchen zu fotografieren, dass sich mir bis auf einen Meter nähert. Das wären tolle Fotos geworden.
Zurück auf Station. Pleger zickt mich an, dass ich nicht reden würde. Wie sollen sie mir da helfen?! Ich verstehe ihn, aber erwartet er wirklich, dass ich frei von der Leber weg über die perversen Dinge spreche, die mir als Kind angetan wurden? Ich kanalisiere meine Wut ins Schreiben, denke nicht nach, schreibe Bruchstücke meiner Erinnerungen schonungslos auf und drücke ihm den Zettel in die Hand. Flüchte wieder in den Ausgang.
Als ich zurückkomme, hat plötzlich eine Ärztin Zeit für mich. Ich will nicht mit ihr reden. Den ganze Tag lassen sie mich leiden und zicken mich an. Jetzt will ich auch nicht mehr sprechen. Ich schlage ihr die Badezimmertür vor der der Nase zu und dusche eine Ewigkeit. Ich bekomme den Schmutz nicht vom Körper. Meine Haut stinkt nach Urin. Selbst, als sie rot vom Schrubben ist, spüre ich den Urin auf mir.
Später wieder heftige Flashbacks. Ich weine. Hole mir Tavor. Pflegerin hackt auf mir herum. Ich weine noch mehr, will sterben. Schlage den Kopf gegen die Wand. Später kommt die Pflegerin zu mir, will mit mir sprechen. Ich stimme dem Gespräch zu. Sie macht mir noch mehr Vorwürfe. Hackt auf mir herum. Ich bin erbärmlich, selbstmitleidig, alles mache ich falsch. Flüchte mich in Dissoziation, höre ihr gar nicht mehr zu. Nutze den erstbesten Zeitpunkt zur „Flucht“ und beende das „Gespräch“. Schlage den Kopf gegen eine Metallstange bis der Schmerz das Denken und Fühlen übertönt.
Hole mir später noch mehr Tavor (bei einer anderen Pflegerin). Schlafe unruhig. Habe Alpträume. Erbreche mitten in der Nacht, weil ich den Uringeschmack nicht aus meinem Mund bekomme. Weine. Fühle mich unerwünscht. Fühle mich schmutzig. Mache alles falsch. Ich bin am Boden, und alle treten nochmal ordentlich zu.
Heute.
Weine den halben Vormittag. Spreche kaum. Mitpatienten sind lieb. Meine türkische Zimmernachbarin ist ein Engel. Hält mich einfach nur im Arm. So warm, so geborgen. Ich weine in ihren Armen. Sie ist so ein wunderbarer Mensch.
Visitengespräch mit Dr. H. Ich will entlassen werden. Er will mich nicht gehen lassen, wegen Suizidgedanken. Ich erzähle ihm vom Tag zuvor. Er will mit der Pflege reden, und wissen, welche Erinnerungen durch dieses verfickte Drogenscreening hochgeholt wurden. Ich sage ihm, er soll den Zettel suchen, den ich dem Pfleger gestern geschrieben habe, und das lesen. Ich wette, er wird kotzen dabei. Perversität kennt keine Grenzen.
Er will das tun. Mit der Pflege reden, den Zettel lesen. Nachmittag nochmal mit mir reden, in Ruhe.
Ich gehe in Ausgang. Bin jetzt zu Hause, weine wieder, habe Alkohol getrunken. Will nicht mehr zurück in die Klinik. Will mich ins Bett legen und meine Ruhe haben. Will, dass alles aufhört.