Der Wind beisst eisig kalt in meine Haut, als ich da stehe, mitten in der Nacht, auf dieser Brücke. Wolken aus Eisnebel glitzern in der Luft, ihre Schönheit berührt mich nicht. Die Tränen gefrieren auf meinen Wangen.
Meine Finger suchen wie von selbst die Nummer im Handy. Eingespeichert vor Jahren, nie geglaubt, dass ich wirklich jemals anrufen würde, ich mit meiner Telefon-Panik. Jetzt ist die Panik ganz still, kein Herzrasen, keine Schweißausbrüche. Die Finger suchen die Nummer, drücken auf „wählen“, die Verbindung entsteht.
Ich weiß nicht, was ich der Pflegerin erzählen soll. Vor wenigen Stunden wurde ich aus der Klinik entlassen, aber es geht nicht, es geht einfach nicht, ich packe es nicht zu Hause. Sie redet auf mich ein, dass ich zurückkommen soll, dass ich mir nichts antun soll. Sie reicht den Hörer an die Ärztin weiter, die mich doch eben erst entlassen hat, auf meinen Wunsch. Ihre Stimme klingt liebt und warm und beruhigend. Und besorgt. Sie überzeugt mich, dass es besser ist, wieder in die Klinik zu kommen. Sie nimmt mir die Angst, die Scham.
Ich beende das Gespräch. Mache mich auf den Weg. Schritt für Schritt, der Weg scheint ewig lang zu sein.
Durchgefroren und erschöpft erreiche ich die Klinik. Klingeln, reingelassen werden, „Gut, dass Sie angerufen haben. Gut, dass Sie zurückgekommen sind.“
Die Scham kommt zurück, die Angst. Ich habe versagt, so dermaßen versagt. Ich fühle mich schwach, in jeglicher Hinsicht.
Der Ärztin kann ich erstmal kaum in die Augen sehen. Es ist mir so entsetzlich peinlich. Aber sie macht mir keine Vorwürfe, überhaupt nicht.
Als sie fragt, was ich gerade brauche, wende ich den Blick wieder ab… Murmel was von „Magenschutz“… Sie schweigt einen Moment, scheint zu begreifen, was ich bisher verschwiegen habe, hakt nach. „Haben Sie Tabletten geschluckt…?“ Ich hatte versprochen, es nicht zu tun. Ich dachte, ich schaffe es.
Der Drang war zu stark. Die ersten Tabletten waren schon geschluckt, ehe der Verstand wieder einsetzte. Bis ich begriff, was ich da gerade tat. Danach bin ich aus der Wohnung gelaufen, auf die Brücke, und habe angerufen. All das sage ich ihr, und sie beruhigt mich, macht mir keine Vorwürfe, möchte nur wissen, was und wieviel ich geschluckt habe. Ich sage es ihr, sie untersucht mich, nimmt mich wieder auf, gehen lassen möchte sie mich nicht, ich möchte auch gar nicht gehen, ich würde nur noch mehr Tabletten schlucken, ich habe es nicht im Griff in diesem Moment, es tut gut im Schutz der Klinik zu sein.
Dann falle ich ins Bett, so warm und weich nach dem schneidenden Wind da draußen. Und während ich noch überlege, wie lange ich wohl brauchen werde, um zur Ruhe zu finden, und ob ich vielleicht um Bedarfsmedikation bitten soll, fallen mir auch schon die Augen zu und ein tiefer Schlaf schenkt mir ein paar Stunden Ruhe.