Wenn die Erinnerungen an das Mobbing während der Schulzeit so präsent sind wie im Moment, fühlt es sich manchmal ganz surreal an, dass es heutzutage tatsächlich Menschen gibt, die freiwillig ihre Zeit mit mir verbringen. Unglaublich und irritierend. So durcheinander-machend, dass ich dissoziiere, weil ich anders nicht damit umgehen könnte. Weil es so Angst macht.
Während der Schulzeit hatte ich keine Freunde. Wenn meine Mitschüler mit mir gesprochen haben, dann ausschließlich um mich zu beleidigen, auszulachen, zu erpressen oder zu bedrohen. Ein nettes Wort? Eine zwanglose Plauderei? Ein ernsthaftes Gespräch über die Probleme, die die Jugend so mit sich bringt? Fehlanzeige.
Ein Schimpfwort zur Begrüßung. Kichern hinter vorgehaltener Hand. Abfällige Blicke. Erpressung mit dem Messer an der Kehle. Ein Schlag in den Magen als Dankeschön und als Andenken ein kreisrundes Brandloch in der Haut.
Wenn ich diese Erinnerungen im Kopf habe, dann bin ich völlig durch den Wind, wenn Freunde an der Uni mit einem erfreuten Lächeln zu mir kommen, sich wie selbstverständlich in der Vorlesung neben mich setzen und einfach drauflos erzählen, reden, lachen (mit mir und nicht über mich). Bitten, ob sie einen Aufschrieb kopieren oder ihre Lösungen für eine Übungsaufgabe mit meinen vergleichen dürfen – ganz freundlich, ohne Messer am Hals. Mit einem „Danke!“ ohne Fäuste und Schmerz und glühende Zigaretten. Und der Versicherung, dass ich mir natürlich auch Aufschriebe von ihnen kopieren kann, wenn mir was fehlt.
Es fällt schwer, das anzunehmen. Die Tatsache, dass heute niemand mehr was gegen mich hat und ich nicht tagein, tagaus die Zielscheibe für Spott und Gewalt bin. Wenn die Erinnerungen so präsent sind, schleichen sich Zweifel und Unglauben ins Bewusstsein. Die führen was im Schilde; die lästern, wenn du nicht dabei bist; bald wirst du sehen, was sie wirklich von dir denken und dann wird alles wieder wie früher. (Und an dieser Stelle muss ich meine Gedanken in Ketten legen um nicht paranoid zu werden.)
Ich weiß nicht, ob ich jemals akzeptieren kann, dass das Mobbing vorbei ist und die Menschen heute nichts mit den Menschen von damals zu tun haben. Vor allem: dass ich nicht gemobbt wurde, weil ich schlecht bin, sondern weil die Täter Arschl***er waren.
Eigentlich sollte ich mich inzwischen daran gewöhnt haben. Ich habe so viele Menschen kennengelernt, die gut mit mir umgingen und die definitiv freiwillig und gerne mit mir zusammen waren. Eigentlich habe ich mehr als genug positive Erfahrungen gemacht. Eigentlich.
So ganz glauben kann ich es dennoch nicht. Vielleicht werde ich es nie können. Das Gefühl, unzulänglich und schlecht zu sein, sitzt eben doch verdammt tief.
Es ist, als ob man Schimmel an der Wand durch bloßes Überstreichen wegbekommen möchte: sieht zwar auf den ersten Blick wieder gut aus, aber der Schimmel ist trotzdem da, im Verborgenen, und irgendwann auch wieder an der Oberfläche. Genauso überdecke ich das Gefühl der Wertlosigkeit mit neuen positiven Erfahrungen: oberflächlich betrachtet ist alles gut und in Ordnung, aber die Wertlosigkeit bleibt unter der Fassade neuer Erfahrungen bestehen. Die neuen Erfahrungen sind schön, aber sie können den Schimmel auf meiner Seele nicht endgültig bekämpfen.